Willkommen auf der Homepage
von
Günter Wohlfart
Bemerkungen zu seinem Lebensumweg
Der junge Wohlfart hat in den roaring sixties als Frankfurter Schüler Philosophie studiert und bei Adorno und Liebrucks mit einer Arbeit über Kants Ästhetik promoviert. In Tübingen hat er sich dann über Hegel habilitiert usw. Kurzum: er ist auf der breiten Heeresstraße der deutschen Schulphilosophie artig mitmarschiert und hat recht ordentliche Betrachtungen über den Deutschen Idealismus u.A. angestellt. Zur Belohnung ist er dann schließlich auch ordentlicher Professor geworden.
Das Ziel schien erreicht. Aber es ergab sich bald ein außerordentliches Problem. Eines Tages hat sich der tief über seine Folianten gebeugte Gelehrte auf seinem Lehrstühlchen zurückgelehnt und sich gefragt: Was will ich eigentlich: Philosophie-Geschichte unterrichten oder Philosophie treiben? Und Philosophie – beim Wort genommen – heißt ja eigentlich „Weisheitsliebe“, eine ältlich anmutende Sache, die im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb kaum noch zu finden ist. Bei der Liebe als Profession geht die Liebe verloren; ganz ähnlich bei der Weisheitsliebe als Philosophieprofession.-
Was tun? Ausziehen aus dem Haus der Gelehrten, wie der wilde Weise Nietzsche gesagt hat, der alma mater einfach den Rücken kehren? Leicht gesagt! Die Schwierigkeit ein Gelehrter zu werden, wird nur noch übertroffen von der Schwierigkeit, kein Gelehrter mehr zu sein. Kein bloßer Schulweiser.
Ein Grauer aber wollte der Weisheitsliebhaber nicht sein. (S)eine Definition der Philosophie: Lebensweisheit, ars vitae, Lebenskunst, savoir vivre et savoir mourir. Das kann man mit Montaigne von den Alten lernen. Also hieß es für den studiosus sapientiae: zurück zu den Alten, um Anlauf zu nehmen zu einem Gedankensprung in eine Philosophie, deren Wahrheiten sich im eigenen Leben bewähren.
Er ist gelandet bei Heraklit, dem großen Anfänger der Europäischen Philosophie und hat einen Wälzer verfasst, der noch dunkler ist als die Fragmente des dunklen Ephesiers. Aber damit war er angekommen in Kleinasien, am westlichen Ende jener legendären Seidenstraße, auf der schon vor mehr als 2000 Jahren allerlei Dinge in beiden Richtungen transportiert wurden, auch Gedankendinge. Und überhaupt: Philosophieren ist eine Weise des Reisens. Philosophieren heißt, sich aufzumachen, sich auf den Weg zu machen. So musste es also auf diesem Lebensweg unweigerlich zu einem transcultural turn kommen.
Und in der Tat hat sich der Denknomade vor gut zwanzig Jahren aufgemacht vom alten Griechenland ans andere Ende der Seidenstraße: ins alte China. Er wollte als Weisheitslehrling mitarbeiten an der Erschließung einer philosophischen Ost-West-Passage, wohlgemerkt: Ost-West, nicht West-Ost. Denn wir Deutschen sind zwar Export-Weltmeister, auch im Denkgeschäft. Philosophische Gedanken-Importe aber scheitern in der seriösen akademischen Welt immer noch an Einfuhr-Beschränktheiten. Unser Denkweg nach Osten ist immer noch eine philosophische Einbahnstraße.
Ceterum censeo: mit einem Brunnenfrosch ist es eben schwer, über das Meer zu reden und mit einem Gelehrten ist es schwer, über das zu reden, was die alten Chinesen dao nannten, den Weg, den Lauf der Dinge und des Lebens. Wer davon etwas wissen will, der muss es wagen, über seinen Brunnenrand rauszugucken. Man sieht die Türme der Stadt ganz anders, wenn man sie verlassen hat, wenn man zurückblickt und später auf sie zurückkommt.---
Zunächst einmal hat der Sino-Philo-Soph in der Académie du Midi Symposien zur interkulturellen Philosophie organisiert und in Seminaren mit einem chinesischen Freund und einigen jungen Kollegen aus der Sinologie die Seidentexte des Laozi im Original buchstabiert, jenen altchinesischen Klassiker, der inzwischen auch bei uns in 1001 Übersetzungen in der Esoterik-Ecke der Buchläden steht. So wurde der Hobby-Sinologe zum „Euro-Daoisten“. Unter Esoterik-Verdacht sitzt er zwischen den Lehrstühlen der Voll-Philosophen und der Voll-Sinologen, besser gesagt: er hockt, und zwar ganz locker, „ungezwungen auf dem Boden mit gelöster Kleidung“ , wie es an einer Stelle im Zhuangzi heißt, einem anderen altchinesischen Klassiker, der sich bei uns weniger großer Beliebtheit erfreut.
Der West-Nestflüchter wurde zu einem Laozi-Kongress nach Xi’an eingeladen und damit war er von Ephesus aufbrechend am anderen Ende der Seidenstraße angekommen. Es war die erste von vielen Reisen in den oriens extremus.
Unterwegs führte der Denkweg vom Laozi zum Zhuangzi, dem todheiteren dao-Original vom Blumenberg. Nachdem die verdienstvollen Versuche des Missionars des Chinesentums, Richard Wilhelm, uns „Dschuang Dsis Buch vom südlichen Blütenland “ näher zu bringen schon beinahe 100 Jahre zurücklagen, hat der Euro-Daoist durch seine Textchen versucht, dem immer noch weit verbreiteten Missverständnis zu begegnen, dass es sich beim Zhuangzi (japanisch soshi) um ein exotisches Reisgericht handelt, obgleich es schon richtig ist, dass das Zhuangzi ein Text ist, der „gar gelesen“ werden muss, wie es im Chinesischen heißt. Die Übersetzungs-Arbeit am Zhuangzi wurde für den Amateur zum Versuch, in eine fremde Welt überzusetzen. Nun, truth lies in translation - im doppelten Sinne des Wortes. Eingedenk des Zhuangzi-Wortes „sei leer, das ist alles“, war diese Übersetzungs-Übung für die von sich selbst erfüllte Langnase auch der mehr oder weniger vergebliche Versuch, vom Lehrmeister zum Leermeister zu werden. Da der Lehrmeister als Mundwerksgeselle mit seinem Lippen-dao hoffnungslos hinter seinen eigenen Bücherweisheiten herhinkt(e), verzichtet(e) er schließlich freiwillig auf weitere akademische Meriten und ließ sich – noch immer nicht ganz erwachsen - mit 60 emeritieren.
Zurück aus China, nach einigen Umkehrungen des Bewusstseins, hat sich der „späte Wohlfart“ als Emeritus vom Reich der Mitte in seine Wahlheimat, in den Midi zurückgezogen. Da lebt er als Eremit und Anachoret in seiner Zweisiedelei, einem Berghof in Südfrankreich, den ein alter Freund in Erinnerung an den südchinesischen Altmeister Zhuang Shan Zhuang genannt hat. Diese Bergerie im Midi, im Land des „großen Mittags“ und der taghellen Mystik, ist ein Ort, an dem man am Morgen sieht, wie die Sonne – ex oriente - über dem Mittelmeer aufgeht und den eulenernsten Grau-in-grau-Maler auslacht. Man soll ja philosophieren und zugleich lachen, wie der alte Gartenphilosoph Epikur gesagt hat, vor allem über sich selbst und die eigene Wicht-ich-keit. Es macht Spaß, auf den langweiligen Langnaseweisheiten herumzutanzen, vor allem auf den eigenen. Der Midi ist ein guter Ort, um guter Dinge zu sein und zu erfahren, dass sapientia nicht nur etymologisch verwandt ist mit savoir vivre und mit sapor, dem Geschmack der Dinge. Sapere aude!, wage zu schmecken!, wage die Dinge zu schmecken, die vorletzten und die letzten, so wie sie sind. So spricht sich der Weisheitslehrling selbst Mut zu. Als Lebenskleinkünstler übt er sich ein in die sérénité, die ersehnte heitere Gelassenheit, auf dass sein leerer Herz-Geist einstens zum Spiegel des heiteren Himmels des Midi werden möge. Dazu bedarf es des langen Atems „von den Fersen her“. Inspirierend ist dabei der tramontane, der Wind, der über die Berge kommt. Wenn er in der offenen Weite der garrigue weht, dann atmet die Leere. Hier im Midi, in der Mitte von Nirgendwo „sitzt der Alte und vergisst“, zumindest während der Siesta am Nachmittag. Da genießt er seine Zeiten der Leere, seine vacances.
Eingedenk des eudämonistischen Imperativs von Voltaire: „Laßt uns unseren Garten kultivieren“, wartet er, dem Vorbild des alten Feld- und Gartendichters Tao Yuanming folgend seinen Garten und „nährt sein Leben“ im Freien als Ziegenhirtengehilfe im Mohair-Ziegenbetrieb seiner Frau (Le Mohair du Tauch). Und da man Philosophie eigentlich nur dichten dürfte, wie ein österreichischer Dorfschullehrer und Gärtner einmal sagte, übt er sich auch manchmal als Haikühetreiber in den verrückten Versen des wortlosen Worts.
Aber am liebsten wartet er seinen Garten so: er hockt mit der Blödigkeit des Dichters in der Nachmittagssonne und döst. |
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